Europas erste Lagune mit eigener Rechtspersönlichkeit
Die Lagune Mar Menor ist das einzige Ökosystem in Europa mit eigener Rechtspersönlichkeit. Forschende untersuchen die Wirksamkeit des Rechtsinstruments
Die salzige Küstenlagune Mar Menor nahe der Stadt Murcia in Spanien war in den Jahren zuvor wiederholt vom Massensterben von Tieren und Pflanzen aufgrund hoher Nitrateinträge und Überdüngung betroffen. Die größte Salzwasserlagune des Mittelmeerraums, abgetrennt vom Meer durch einen 22 Kilometer langen Sandstreifen, veränderte ihren Charakter von Grund auf. Für die Bewohner der Region, deren Identität stark mit der landwirtschaftlich und touristisch genutzten Lagune verbunden ist, war das ein Schock.Bürgerinitiativen führten zu einem Naturschutz-Volksbegehren mit dem Ziel, das Mar Menor als Rechtspersönlichkeit anzuerkennen – was 2022 in einem europaweit bisher einzigartigen Schritt auch gelang.
Noch ist nicht klar, wie zielführend die Idee in der Praxis langfristig sein kann und welche konkreten rechtlichen Rahmenbedingungen sinnvoll sind.
Viele Menschen neigen ohnehin zur Anthropomorphisierung, also dass menschliche Eigenschaften Objekten, Tieren oder anderen Naturerscheinungen – seien es Staubsaugerroboter, Hauskatze oder Sterne und Planeten – zugeschrieben werden. Gleichzeitig ist man durch die Existenz juristischer Personen wie Unternehmen gewohnt, nichtmenschlichen Entitäten Rechtspersönlichkeit zuzugestehen.
Befürworter des KI-Einsatzes in zukünftig allen Bereichen des täglichen Lebens vertreten immer wieder die Meinung, dass KI Systeme bald - und manche vielleicht schon derzeit - über eigenes Bewußtsein verfügen könnten und diesen technischen Systemen daher “eine gewisse Art” eigener Persönlichkeit zuerkannt werden müsste.
Welche rechtlichen Folgerungen/Komplikationen damit in Europa verbunden wären könnte am Beispiel dieser Salzlagune mit eigener Rechtspersönlichkeit beobachtet werden.
Sicher scheint jedenfalls zu sein, dass noch vor irgendwelchen technischen Systemen jedes Tier ebenfalls als eigenen Rechtspersönlichkeit anerkannt werden müsste, da immer mehr einschlägige Wissenschaftler zur Überzeugung kommen, dass Wirbeltiere jedenfalls über eigenständiges Bewußtsein verfügen. Wenn aktuelle Meldungen richtig sein solten, gibt es auch erste Hinweise , dass sogar Insekten über eigenes Bewusstsein verfügen könnten.
Allerdings: Mit dem Abrücken vom Menschen als alleinigem Mittelpunkt der Welt, was mit Natur-Rechtspersonen einhergeht, wird auch ein grundlegendes ethisches Selbstverständnis infrage gestellt.
Einwände basieren oft auf dem Argument, dass Personalität auch mit Pflichten verbunden ist.
Ähnlich ist es bei den Natur-Rechtspersonen: „In Indien gibt es etwa ein Höchstgerichtsurteil, wonach der Ganges keine Rechtsperson sein könne, weil er dann auch für ertrunkene Menschen haftbar wäre“, veranschaulicht die Juristin.
„Es werden aber auch juristische Modelle erprobt, um Risiko und Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Natur-Person abzudecken – etwa Fonds, aus denen im Zuge einer sogenannten schuldlosen Haftung Gelder an Geschädigte fließen.“
Beim Fall Mar Menor wurden gesetzlich drei Gremien installiert, die eine Beteiligung von Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft vorsehen. Grundsätzlich kann aber jede Person die Interessen des Mar Menor vor Behörden und Gerichten geltend machen. "Rechtstechnisch wäre eine dem Mar Menor ähnliche Konstruktion – zumindest abseits des allgemeinen Klagerechts – auch in Österreich möglich.
Aber:
Für viele Menschen und Ideologien ist der Sprung in eine nichtanthropozentrische Welt, in der also der Mensch nicht mehr allein im Zentrum des Geschehens steht, kaum vorstellbar.